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Vorbeifahren von motorisierten Zweirädern an stehenden und langsam fahrenden Kolonnen
Vorbeifahren von motorisierten Zweirädern an stehenden und langsam fahrenden Kolonnen
in Alles über Motorrad und Technik 01.04.2011 14:23von Andreas Fiebiger • | 4.516 Beiträge
Vorbeifahren von motorisierten Zweirädern an stehenden und langsam fahrenden Kolonnen
Motorisierte Zweiradfahrer haben während der Fahrt im Regelfall keine Möglichkeit, sich per Radio oder Mobiltelefon über die aktuelle Verkehrslage zu informieren.
Dadurch ist es ihnen nicht möglich, Verkehrsstaus zu umfahren. Mangels einer schützenden Karosserie sind sie den
Witterungseinflüssen stärker ausgesetzt, als ihre Auto fahrenden Verkehrspartner.
Zudem führt gerade in den Sommermonaten das Tragen spezieller Motorradbekleidung, das aus Gründen
der Verkehrssicherheit gefordert wird, zu ernsten gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Stau wartender motorisierter Zweiradfahrer. Deshalb, aber auch aus Gründen der Verkehrssicherheit und des Umweltschutzes nutzen viele motorisierte Zweiradfahrer die Möglichkeit, innerorts und außerorts langsam an stehenden und langsam fahrenden Fahrzeugkolonnen vorbeizufahren.
Die aktuelle Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland Gemäß § 7 Abs. 2a StVO dürfen auf einer mehrspurigen Fahrbahn in eine Richtung Fahrzeuge mit geringfügig höherer Geschwindigkeit und mit äußerster Vorsicht rechts überholen, wenn eine Fahrzeugschlange auf dem jeweils linken Fahrstreifen steht oder langsam fährt.
Einspurfahrzeuge brauchen für das Überholen trotz Einhaltung eines ausreichenden Sicherheitsabstands im Regelfall keine eigene Fahrspur. Daher wäre gemäß StVO das Vorbeifahren motorisierter Zweiradfahrer an Kolonnen innerorts und außerorts im Grundsatz zulässig.
In einem Briefwechsel zwischen dem Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und der Biker Union e.V. in den Jahren 1998 / 1999 wurde seitens des Ministeriums ausdrücklich bestätigt, das innerhalb geschlossener Ortschaften bei stehenden Kolonnen an den Kolonnenanfang vorgefahren werden kann. Mit Schreiben vom 21. Januar 1999 stellt das Ministerium folgendes klar: "Innerorts gilt freie Fahrstreifenwahl.
Es kann damit innerorts rechts schneller als links gefahren werden.
Ist eine Fahrspur mit wartenden Fahrzeugen beispielsweise vor der LZA einer Kreuzung belegt, besteht damit kein Hinderungsgrund für den Kraftradfahrer auf dem daneben liegenden, freien Fahrstreifen vorbeizufahren / zu überholen, um weiter vorne, auf den Fahrstreifen mit den wartenden Fahrzeugen, einzuscheren. Sind alle Fahrstreifen mit wartenden Fahrzeugen belegt, ist jedoch der Fahrstreifen breit genug und bietet daher noch genügend Raum für einen Kraftradfahrer gefahrlos, ohne Behinderung der anderen Verkehrsteilnehmer, an der wartenden Fahrzeugschlange vorbeizufahren um sich weiter vorne aufzustellen, ist auch dies nicht ausgeschlossen.
Zum Überholen bzw. Vorbeifahren an wartenden Fahrzeugen muß der Fahrstreifen nicht gewechselt werden. Macht der Kraftradfahrer von der Möglichkeit des Vorbeifahrens / Überholens Gebrauch, hat er dabei jedoch die Grundregel des §1 Abs. 2 StVO zubeachten.
Er muß sich dabei so verhalten, daß kein anderer Verkehrsteilnehmer geschädigt, gefährdet oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird." (Zitatende)
Im Dezember 1999 befaßte sich der Bund- / Länder-Fachausschuß für den Straßenverkehr auf
erneutes Drängen der Biker Union e.V. mit dem Vorbeifahren außerorts. In dem Antwortschreiben des Ministeriums an die Biker Union e.V. wird ausgeführt, daß weitere Lockerungen des
Rechtsfahrgebots aus Verkehrssicherheitsgründen nicht befürwortet werden könnten. Wörtlich
heißt es in dem Schreiben:
"So ist auch bei einem Stau mit unbedachtem Verhalten stehender Verkehrsteilnehmer zu rechnen. In Kolonnen stehende oder langsam fahrende Fahrzeuge wechseln oftmals plötzlich die Fahrspur, weil der Fahrer meint, daß die andere Fahrspur ein schnelleres Vorankommen ermöglicht. Zudem werden bei stehenden Fahrzeugen oftmals unvermittelt Türen geöffnet. Das
Vorbeifahren einspuriger Fahrzeuge an haltenden Fahrzeugkolonnen kann deshalb außerhalb geschlossener Ortschaften aus Verkehrssicherheitsgründen nicht in Betracht kommen." (Zitatende)
In der Praxis wird das Vorbeifahren von der Polizei meistens auch außerorts geduldet, solange damit keine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer verbunden ist. Trotzdem ist es in vereinzelten Fällen zur Verurteilung von Motorradfahrern gekommen, im Extremfall mit einer Geldbuße von € 90,- plus drei Monate Fahrverbot. Zur Erhöhung der Verkehrs- und der Rechtssicherheit ist daher eine Präzisierung der gesetzliche Regelungen dringend erforderlich.
Was machen unsere Nachbarn in Europa ?
Eine Umfrage der FEMA (Federation of European Motorcyclists‘ Associations), des Dachverbandes der europäischen Motorradfahrerverbände, im Mai 2008 ergab, daß in den meisten der
19 erfaßten europäischen Ländern das Vorbeifahren an Kolonnen entweder erlaubt ist oder von der Polizei geduldet wird. Negative Einflüsse auf das Unfallgeschehen sind nicht bekannt.
In Österreich ist das Vorbeifahren von Einspurfahrzeugen an stehenden Kolonnen gemäß § 12 Abs. 5 StVO seit Juni 1998 erlaubt. Trotz der restriktiven Rahmenbedingungen der österreichischen StVO wird das Vorbeifahren auch an langsam fahrenden Kolonnen innerorts und außerorts geduldet. In den 10 Jahren seit Einführung dieser Regelung wurde kein Anstieg der Unfallzahlen im Zusammenhang mit dem Vorbeifahren beobachtet. Auch „spektakuläre Einzelfälle“ sind nicht bekannt. Die neue Regelung hat sich also in der Praxis unter vergleichbaren Verkehrsbedingungen wie in der Bundesrepublik Deutschland bewährt.
Die Argumente pro und kontra Vorbeifahren Folgt man der Argumentation des Bund- / Länder-Fachausschusses aus dem Jahr 1999, würden die motorisierten Zweiradfahrer für das verkehrswidrige Fehlverhalten anderer Verkehrsteilnehmer bestraft.
Dies wäre nicht nur eine rechtlich ausgesprochen fragwürdige Umkehrung des Verursacherprinzips. Die Meinung des BLFA-StVO widerspricht auch der Lebenserfahrung vieler motorisierter Zweiradfahrer aus dem realen Verkehrsgeschehen. Denn die Fahrer von Zweispurfahrzeugen nehmen, von Ausnahmen abgesehen, schon heute Rücksicht auf im Stau
vorbeifahrende Motorradfahrer und geben den Weg frei.
Des weiteren ist nicht nachzuvollziehen, weshalb innerorts andere Rahmenbedingungen als
außerorts gelten sollten. Denn die realen Geschwindigkeiten im Stau auf mehrspurigen Straßen
sind unabhängig von der Örtlichkeit.
Aus den nationalen und internationalen Unfallstatistiken ergeben sich keinerlei Hinweise darauf,
daß das Vorbeifahren an Kolonnen signifikant zum Unfallgeschehen beitragen würde. Hier wird
nach unserer Bewertung auf ein weit verbreitetes Vorurteil zurückgegriffen, nachdem alle Motorradfahrer „Raser“ sind, die rücksichtslos von ihren Rechten Gebrauch machen. Die Formulierung des § 7 Abs. 2a setzt dem jedoch klare Grenzen.
Es gehört zu den Überlebensstrategien motorisierter Zweiradfahrer, vorausschauend zu fahren und für andere Verkehrsteilnehmer mitzudenken, gerade beim Vorbeifahren im Stau.
Eine rechtlich eindeutige Verankerung des Vorbeifahrens in der StVO wird dazu führen, daß in der Fahrschulausbildung aller Klassen die Rücksichtnahme auf das motorisierte Zweirad eine stärkere Bedeutung bekommen wird. Dies kommt der Verkehrssicherheit insgesamt zugute.
Denn nur durch eine intensivere Behandlung der Spezifika des motorisierten Zweirades in der Ausbildung aller Fahrzeugklassen werden sich die beunruhigend hohen Zahlen fremd verschuldeter
Unfälle mit motorisierten Zweirädern nachhaltig senken lassen.
Im übrigen wird auf die Ausführungen im Anhang verwiesen.
Unsere Forderung
Die MID Motorrad Initiative Deutschland e.V. und die in der MID zusammengeschlossenen Motorradfahrerverbände fordern die Bundesregierung auf, das vorsichtige Vorbeifahren an stehenden und langsam fahrenden Kolonnen auf mehrspurigen Straßen innerhalb und außerhalb geschlossener Ortschaften rechtlich zweifelsfrei festzuschreiben.
Die Verbände werden in den nächsten Wochen auch die Verkehrsminister der Länder anschreiben und um ihre Unterstützung bitten.
Argumentationshilfe für das Vorbeifahren an Kolonnen
• Die Masse der motorisierten Zweiradfahrer hat keine Möglichkeit, sich während der Fahrt
über die Verkehrslage zu informieren. Motorisierte Zweiradfahrer können Verkehrsstaus daher nicht umfahren.
• Motorisierte Zweiradfahrer sind beim Stehen im Stau den Witterungseinflüssen ungeschütztausgesetzt (Hitzestau und Flüssigkeitsverlust bei Sonnenschein; Auskühlung und Durchnässung bei Regen und Schnee). Insbesondere bei hohen Außentemperaturen kann die aus Gründen der Verkehrssicherheit getragene Schutzkleidung zu gesundheitsgefährdenden Beeinträchtigungen führen.
Die Wärmeabstrahlung des eigenen Motors, der im Regelfall direkt unter dem Fahrer angebracht ist, und die Wärmeabgabe von LKWs mit Kühlaggregaten auf der rechten Fahrspur verstärken diesen Effekt noch. Ist der Verkehr zum Erliegen gekommen, gäbe es für den Motorradfahrer keine Möglichkeit, sich diesen Einflüssen zu entziehen.
• Moderne PKWs sind heute vielfach mit einer Klimaanlage mit Umluftfunktion ausgestattet.
Im Gegensatz dazu sind motorisierte Zweiradfahrer beim langsamen Stop- und Go-Verkehr
im Stau den Abgasen von auf der rechten Fahrspur fahrenden LKWs, die im Regelfall zur
linken Fahrbahnseite ausgestoßen werden, schutzlos ausgeliefert. Auch dies führt zu gesundheitsgefährdenden Beeinträchtigungen.
• Motorisierte Zweiradfahrer müssen beim Stehen im Stau und beim langsamen Stop- und
Go-Verkehr ständig das Gleichgewicht ausbalancieren. Denn im Stand und bei sehr niedrigen Geschwindigkeiten befindet sich ein Einspurfahrzeug in einem ausgesprochen labilen
Gleichgewichtszustand. Dies führt insbesondere beim Transport von Gepäck und bei einer Fahrt mit Sozius / Sozia zu einem enormen Kräfteverschleiß, der die sichere Führung des Fahrzeugs nachhaltig beeinträchtigt. Das Einlegen von Ruhepausen auf dem Standstreifen ist aus Gründen der Verkehrssicherheit nicht zulässig. Zudem muß gerade im Stau der Pannenstreifen für Bergungsfahrzeuge frei gehalten werden.
• Die thermische Stabilität auch moderner Zweiradmotoren ist konzeptbedingt wesentlich geringer, als die anderer Kraftfahrzeuge. Zweiradmotoren werden schon bei relativ niedrigen Geschwindigkeiten und trotz einer ggf. vorhandener Verkleidung ständig vom Fahrtwind umstrichen.
Deshalb ist bei wasser- und ölgekühlten Modellen der Kühlkreislauf wesentlich
kleiner dimensioniert, als bei vergleichbaren PKW-Motoren. Luftgekühlte Motoren, die beim PKW praktisch nicht mehr vorkommen, bei Motorrädern aber einen beachtlichen Marktanteil aufweisen, kommen durchweg ohne zusätzliches Gebläse aus.
Die Nutzung des Fahrtwindes zur Kühlung des Motors führt zu einer Gewichtsersparnis bei motorisierten
Zweirädern, die beim Benzinverbrauch positiv zu Buche schlägt.
Im Stau kann insbesondere bei hohen Außentemperaturen die Hitze nicht mehr ausreichend abgeführt werden. Daraus resultierende Fahrzeugausfälle führen zu einer erheblichen Gefährdung der Verkehrssicherheit.
• Gemäß § 11 Abs. 2 StVO muß beim Stau auf mehrspurigen Straßen eine Rettungsgasse
gebildet werden, die breit genug ist, um mit einem Einspurfahrzeug gefahrlos befahren
Bei nahenden Einsatzfahrzeugen sind motorisierte Zweiradfahrer problemlos in der Lage, in die Fahrzeugschlange einzuscheren und Platz zu machen.
Eine Behinderung von Einsatzfahrzeugen ist somit ausgeschlossen.
Will ein Verkehrsteilnehmer im Stau die Fahrspur wechseln, hat er sich gemäß § 7 Abs. 5 zu vergewissern, daß dies gefahrlos möglich ist. Zudem hat er einen Fahrstreifenwechsel rechtzeitig mit dem Fahrtrichtungsanzeiger anzukündigen.
Auch beim Öffnen der Fahrzeugtür ist entsprechende Vorsicht walten zu lassen. Eine Gefährdung vorbeifahrender
Einspurfahrzeuge ist somit weitgehend ausgeschlossen.
Alternativ wäre es für Einspurfahrzeuge gemäß StVO zulässig, auf der linken Fahrspur stehende Fahrzeuge vorsichtig links zu Überholen. Dies wird durch das gesetzlich vorgeschriebene Bilden der Rettungsgasse jedoch unmöglich gemacht.
• Ein besonderes Risiko tragen motorisierte Zweiradfahrer, die am Ende eines Staus zum Stehen kommen.
Motorisierte Zweiräder sind im Regelfall nicht mit einer Warnblinkanlageausgestattet, mit der sie den nachfolgenden Verkehr warnen können.
Durch ihre schmale Silhouette besteht zudem die Gefahr, daß sie von herannahenden Fahrzeugen zu spät erkannt werden. Dies gilt besonders bei Dunkelheit und schlechten Sichtverhältnissen.
• Gemäß § 30 Abs. 1 sind vermeidbare Abgasbelästigungen verboten. Durch das vorsichtige
Vorbeifahren im Stau mit gleichmäßiger Geschwindigkeit sinken die Abgasemissionen motorisierter Zweiräder verglichen mit einem Stop und Go-Betrieb. Zudem wird weniger Treibstoff verbraucht, was zu einer Reduzierung klimaschädlicher CO2-Emissionen führt.
Derzeit haben motorisierte Zweiräder nur einen vergleichsweise geringen Anteil am Individualverkehr. Mit ca. 8 % aller zugelassenen Kraftfahrzeuge (LKWs und landwirtschaftliche Fahrzeuge eingeschlossen) stellen sie allerdings keine vernachlässigbare Größe mehr dar.
Bei einer weiteren Zunahme der Verkehrsdichte ist mit einem weiteren Anstieg der Zulassungszahlen zu rechnen, vor allem in Ballungsräumen. Das Vorbeifahren an Kolonnen wirkt
sich schon heute positiv auf den Verkehrsfluß aus. Damit wird auch die Umweltbelastung
durch Zweispurfahrzeuge reduziert.
• Gemäß §1 Abs. 2 StVO hat sich jeder Verkehrsteilnehmer so zu verhalten, daß kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindertoder belästigt wird. Ein Verbot des Vorbeifahrens an stehenden und langsam fahrenden Kolonnen würde dieser Vorgabe der StVO widersprechen, da es eine vermeidbare Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer darstellt
Zitiert aus einem Artikel der "Biker Union" (steht zum Download frei verfügbar)
Nicht jeder der auf einem Zweirad sitzt, kann auch automatisch Motorrad fahren
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